Sonntag, 14. Juni 2015

Bilden wir erst einmal einen Arbeitskreis

Früher kämpften Frauen um ihr Wahlrecht bei der Regierungswahl. Heute gehen die Kinder und Enkel dieser Frauen nicht mehr zur Bundestags-, Lankreis-, Bürgermeisterwahl usw. Auch die Männer, die vor nicht einmal einem Jahrhundert noch ihre Pfründe verteidigten, verweigern die Stimmabgabe.
Und wie reagiert eine Regierung, die offenbar jede Bodenhaftung und den Kontakt zum gemeinen Wahlvolk verloren hat? Sie fragt sich, warum das so ist und gründet eine Arbeitsgruppe, die klären soll, wieso die Wahlbeteiligung so gering ist (eine der Verlautbarungen geht in dir Richtung, daß das Wahlsystem zu kompliziert sei). So werden erst einmal Steuergelder (vermutlich im oberen sechsstelligen Bereich) verpulvert, obskure Ideen entwickelt und anschließend noch mehr Steuergelder vergeudet, um die "Ideen" umzusetzen. Soll ich mal raten? Briefwahl, Internetwahl, elektronische Wahlurnen, mehr Infomaterial, mehr "ich geh' wählen - du auch!"-Imagekampagnen, Wahlpflicht.

Liebe Politiker,
ich versuche es mal, euch so einfach wie möglich zu erklären, warum das Fußvolk nicht mehr wählen geht:
Der kleine Hase Paule hat Lust auf eine Pizza. An seinem Kühlschrank hängen verschiedene Flyer von Lieferdiensten, die alle "die beste Pizza", frische und super Preise versprechen. Auch in der Stadt sieht er immer wieder Werbung für tolle Pizzalieferdienste. Er hat nun die Qual der Wahl. Er hat sich schon mit Freunden und seiner Familie beratschlagt, welcher Lieferdienst denn der ist, der am ehesten alle Wünsche erfüllt. Hitzige Debatten in verqualmten Kneipen führten zu einem Entschluß und so greift er zum Telefon, wählt den auserkorenen Anbieter und bestellt eine Pizza Hawaii.
Natürlich muß er ein wenig warten aber dann kommt der Bote und bringt eine Pizza. In der Wartezeit hat er sich schon darauf gefreut, eine gute Wahl getroffen zu haben und erhofft sich nicht nur ein sättigendes Gefühl im Magen, sondern auch eine Gaumenfreude und damit einhergehende Verbesserung seines Lebens. Aber es ist keine Hawaii, sondern eine Margherita. Die hat er nicht gewählt aber bevor er hungert, schluckt er seinen Frust herunter und begnügt sich mit dem "Spatz in der Hand".

Tage später ist es wieder einmal so weit. Wieder gelüstet es ihm nach einer Lieferpizza. Er kann sich nun überlegen, ob er dem bisherigen Lieferdienst eine zweite Chance gibt oder ob er einen anderen Anbieter ausprobiert, in der Hoffnung, daß dieser seine Bedürfnisse ernst nimmt und liefert, was er verspricht. Paule entschließt sich für den gleichen Anbieter, bestellt wieder eine Hawaii. Der Lieferdienst verspricht wieder das blaue vom Himmel, daß es ihm leid tut, das er jetzt auf jeden Fall das versprochene liefert und das jeder Kunde ihm wichtig ist. Es kommt, wie es kommen muß: Wenig später scheinen alle Versprechen vergessen und es wird wieder eine Margherita geliefert.

Paule fühlt sich verschaukelt. Wieso hält der Lieferdienst nicht, was er verspricht? Also denkt er sich, daß er den Anbieter wechseln wird. Es gibt ja genügend Alternativen. Also bestellt er diesmal bei einem anderen Lieferanten seine begehrte Hawaii. Aber auch dieser Lieferdienst scheint seine vollmundigen Versprechen schon kurz nach Erhalt des Auftrages vergessen zu haben. Paule muß wieder an einer Margherita knabbern.

Nun ist Paule frustriert. Er denkt sich, daß die Pizzalieferdienste es anscheinend einfach nicht nötig haben, sich an ihre Werbeflyer und Versprechen zu halten. Hauptsache, sie haben einen Auftrag erhalten und das Geld eingestrichen. Also wird er diesmal aus Protest keine Pizza bestellen. Er entscheidet sich für Sushi. Er versteht zwar nicht alles, was der Sushilieferdienst da auf seinem Werbeflyer verspricht und so ganz mag er den Fisch auch nicht, aber wenn die etablierten Dienste nicht das machen, was sie versprechen, dann vielleicht die kleinen Anbieter. Nach der üblichen Wartezeit kommt wieder das böse Erwachen: Er bekommt wieder eine Pizza Margherita geliefert - dabei wollte er doch nicht einmal Pizza, egal welche, er wollte was Neues.

Paule ist lernfähig: es ist anscheinend völlig egal, was er wählt, er bekommt doch immer den gleichen Einheitsbrei. Kein Lieferdienst hat ein eigenes Profil und hält sich an seine vollmundigen Versprechen. Es ist völlig egal, was Paule wählt, er bekommt das, was ihm der Lieferdienst liefern will, daß was die meisten schlucken werden, auch wenn sie es eigentlich nicht wollten.

Paule zieht aus dem gelernten eine logische Konsequenz: er wählt nicht mehr einen Lieferdienst aus, sondern wirft die Flyer mit den (Aus-) Wahlversprechen weg, ignoriert die Werbung im Fernsehen und in der Stadt und holt sich eine Tiefkühlpizza Hawaii.

Später stellen die Lieferdienste fest, daß die Kunden ausbleiben. Immer weniger Leute wählen ihre Nummer und sie fragen sich, wieso das so ist. Also starten sie eine Umfrage, was der Grund dafür ist, machen noch auffälligere Werbung, versprechen jedem Kunden eine Freipizza, gehen sogar in Schulen und machen dort Werbung, bieten Online-Bestellungen, Bestell-Apps, einfachere Bestellabläufe usw. Das kostet die Lieferdienste viel Geld. Aber Paule fragt keiner. Der hat zwar mitbekommen, daß die Lieferdienste klagen aber es ist ihm inzwischen egal geworden. Er denkt sich nur, daß die Anbieter nur wieder so tun, als ob es sie interessieren würde, was die Kunden wollen. Fallen genügend wieder darauf herein, wird alles wieder so wie früher: Margherita-Einheitsbrei. Paule hat jetzt einen großen Vorrat TK Pizza Hawaii und erhofft sich keine Verbesserung seines Wohlbefindens seitens der Lieferdienste. In der Presse hat Paule auch gelesen, daß es eine Lieferdienstlobby gibt. Diese unternimmt alles, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen und die Lieferdienste vor Ort sind kaum mehr als willfähige Erfüllungsgehilfen. Ein weiterer Grund, warum der Pizza- Sushi-, Döner-, Chinalieferdienst & Co. immer mehr an Vertrauen verspielt hat.