Montag, 23. November 2015

Je suis Paris. Nous somme État Islamique

Die Terroranschläge am 13. November in Paris sind tragisch - das steht außer Frage. Sie reihen sich ein in eine Liste vieler anderer.

Kaum machten die ersten berichte ihr Runde, überschwemmte die sozialen Netze und Medien eine Welle der Solidaritätsbekundungen. Jeder fühlte sich berufen, ein "je suis Paris" oder #PeaceForParis zu twittern, Peacezeichen mit Eiffelturm weiterzuleiten, Bauwerke mit der Trikolore zu schmücken usw.

Aber vergessen wir da nicht etwas? Was ist mit den Toten, die im Namen Gottes hingerichtet wurden? Was mit den Menschen, die täglich in einem der zahllosen Kriege sterben? Wer denkt an die Menschen, die wegen Hunger, Krankheit usw. täglich sterben?
Für diese Menschen tragen wir Verantwortung. Wir haben diese Menschen abgeschlachtet, als wird der Welt unseren christlichen Glauben aufdrängen wollten, Wir führen die Kriege in den Ländern des Nahen Ostens oder in Afrika. Wenn wir sie nicht direkt führen, verdienen unsere Waffenschmieden daran. Wir leben im Überfluß und medizinischer Überversorgung von der wir mehr abgeben könnten.
Wenn in Ägypten mehr Menschen (224) als in Paris bei einem Flugzuganschlag sterben, sieht man nirgends russische oder ägyptische Flaggen oder hört Bekundungen wie "نحن شبه جزيرة سيناء". Als in der Türkei 102 Leute sterben und 500 verletzt wurden, wieviel Anteilnahme bekundeten wir da? Ernsthaft und global Anteil genommen haben wir vermutlich das letzte mal 2013 beim Boston Marathon oder bei 9/11.
Gibt es also Menschen, die mehr Wert sind? Mehr Wert, daß man um sie trauert, als um andere sinnlos gestorbene? Trifft einen das Schicksal des Nachbarn mehr, als das des Fremden? Dabei sollten uns Türkei und Ägypten doch kaum fremd sein. Wer hat nicht schon einmal in einem der Länder Urlaub gemacht oder macht es sogar regelmäßig? Reicht der Kulturaustausch, Land und Leute kennenlernen nur so weit, wie das billigste Pauschalreiseangebot uns bringt? Was ist mit dem Türken an der Ecke, bei dem wir unseren Döner kaufen? Verdient er keinen Zuspruch, wenn seine Landsleute massakriert werden?

Auch ich gehe nicht hin und kümmere mich. Ich bin wie die Masse: von den meisten Anschlägen, Attentaten und Tragödien bekomme ich nichts oder nur wenig mit. Man blendet aus. Um so verlogener empfinde ich diese nun aufflammende Solidarität, die kaum mehr als ein Alibi und mitschwimmen auf der Welle ist; medienwirksames und finanzielles Ausschlachten einer Tragödie. Mitgefühl, mit einem Staat der sich die Werte Liberté, Égalité, Fraternité auf die Fahnen geschrieben hat aber nur so weit praktiziert, wie es seinen Staatsdienern in den Kram paßt.
Was aber ist die erste oder zweite Reaktion dieses Staates, Deutschlands, der EU, der NATO, der Welt? Ein Gegenschlag. Gegen welchen Feind? Es ist der gleiche Gegner, den man nun schon seit Jahren erfolglos bekämpft. Man überzieht eine ganze Region mit Terror, um für die Freiheit zu kämpfen. Im brüderlichen Schulterschluß mit anderen freiheitsliebenden Staaten.

Der nächste Schritt ist der Ruf nach mehr Überwachung, mehr Kontrolle, mehr Rechte für staatliche Sicherheitskräfte. Dieses Paradigma wird spätestens seit 2001 in ewig gleicher Leier wiederholt. Wirklich gebracht hat es nichts. Es ist unmöglich, ein Land, eine Stadt oder ein einzelnes Haus gegen Terrorismus zu schützen, wenn der Angreifer nur willensstark genug ist. Wir können keine Sicherheit erzwingen. Anstatt so den Terrorismus zu bekämpfen, wird der Bürger zum Opfer und Ziel des Staates. Freiheit und Gleichheit wird geopfert, um mit Aktionismus ein irrationales Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und das dumme Wählervolk zu besänftigen. Vielleicht müssen wir einfach lernen, daß der Krieg, den wir die ganze Zeit in die Welt hinausgetragen haben, nun auch zu uns gekommen ist. Aber wird dürfen uns freuen: Im Nahen Osten, sterben jeden Tag deutlich mehr Menschen, als bei uns. Unsere behütete Welt ist weiterhin vergleichbar sicher und ungefährlich.

Die Frage ist auch: wer ist der eigentliche Feind? 130 Tote in Paris ist schrecklich. Wieviele Menschen starben wohl aufgrund von Terrorismus seit Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen weltweit? Sicher ein paar Tausend. Klar, es sind zu viele. Es wäre wünschenswert, wenn es diese nicht gäbe. Aber rechtfertigt diese Zahl nun, daß Grundrechte eingeschränkt werden, ein demokratisches Land einen dreimonatigen Ausnahmezustand ausruft, Ausgeh- und Versammlungsverbote verhängt werden? Ein anderes Land tagelang sich einigelt und das öffentliche Leben zum Erliegen kommt? Kaum eine kritische Stimme, keiner fragt nach der Verhältnismäßigkeit. Wieviel Elend in dieser Welt hätte man mit den dabei verbrannten Geldmitteln unmittelbar beseitigen können?

Wieviele Leute starben wohl letztes Jahr im Straßenverkehr? Wieviele an Alkohol- oder Zigarettenkonsum, Herzinfakt, Übergewicht? Wieviele Menschen wurden in den letzten Jahren einfach ermordet? Je nach Quelle und Jahr kommen so (vorsichtig gerechnet) um die 140.000 Tote pro Jahr alleine in Deutschland zusammen.
Sorry, aber von alleine diesen wenigen Todesursachen ausgehend, sind gerade einmal 0,09 % durch Terrorismus in Paris gestorben. Macht es einen Unterschied, wie man stirbt? Ob durch die Hand eines religiösen Fanatikers, eines x-beliebigen Mörders oder einer Multi-Milliarden-Euro Industrie, die an dem Verkauf von Autos, Zigaretten und Alkohol verdient? Mal abgesehen davon, daß der Staat, der den Terroristen bekämpft, einen Teil seines Staatshaushaltes mit Steuern (14,1 Milliarden Euro Tabaksteuer 2013) und Abgaben auf diese Tatwerkzeuge bestreitet. Es ist vollkommen legal, Menschen zu vergiften, es wird hingenommen, daß Menschen totgefahren werden. Das wird schnell als allgemeines Lebensrisiko abgetan. Oder Eigenverschulden. Kein mediales Aufschreien, kein weltweites regetwittere, über ein Unfallopfer oder einer weiteren Alkoholleiche. Kein Krieg den legalen Drogen, kein "Gegenschlag" Richtung Waffenlobby. Keine Rede von Verschärfung der Überwachung, Einschnitten in Grundrechte. Es ist also ungleich wahrscheinlicher, daß Sie aufgrund eines Unfalls, einer Schießerei mit legal gekauften Waffen in Privatbesitz oder ungesundem Lebenswandel sterben, als durch die Hand eines Terroristen. Vermutlich werden Sie auch eher vom Blitz beim Scheißen getroffen.

Abgesehen davon, was wäre eine Möglichkeit, wie man auf Terrorismus reagieren könnte und die nicht zu noch mehr Krieg führt? Vielleicht einfach denen helfen, die sich gegen Fanatiker stellen. Aber anstatt Flüchtlinge zu begrüßen, die Ihrerseits vor Terror, Gewalt und Armut fliehen, schreien wir Bürger und unsere Politiker unisono nach strengeren Kontrollen, schärferen Aufnahmeregeln, Abschiebung, Kontingenten. Menschen, die von den religiösen Fanatikern fliehen, könnten wir unsere Weltanschauung zeigen, Ihnen helfen zu verstehen, warum wir gegen Unterdrückung und Totalitarismus sind. Wie unser langer, steiniger, von Blut übersäter Weg zu Demokratie aussah - als wir in Namen unseres Glaubens oder anderer fanatischer Machtphantasien Menschen abgeschlachtet haben und Terror als das Mittel der Wahl ansahen. Wir dürfen Ihnen nicht unseren Glauben aufzwingen und sie bekehren wollen, aber wir können sie lehren. Das kostet viel weniger als Krieg führen und ist nachhaltiger.
Aber was machen wir stattdessen? Wir weisen sie ab und schicken Flüchtlinge zurück in ihre Heimat (unter anderem mit dem fadenscheinigen Argument, es könne sich ja ein Terrorist unter ihnen befinden und unentdeckt ins Land kommen. Klar, weil sie ja nicht gerade erst bewiesen haben, daß sie das gar nicht müssen). Wir treiben die Menschen also lieber direkt in die Arme der Demagogen, die Terroristen ausbilden und zu uns schicken. Somit unterstützen wir direkt den IS - wir sind der Islamische Staat. Anschließend bekämpfen wir den gesichtslosen Feind mit Hilflosigkeit mit mehr Aufwand, als es uns "gekostet" hätte die Flüchtlinge aufzunehmen, auszubilden und als Multiplikatoren für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit anzusehen. Wo würden die USA wohl heute stehen, ohne die Millionen von Wirtschaftsflüchtigen, die sich unter die Handvoll politisch-religiösen Emigranten mischten und das Land der tapferen voranbrachten?

Mittwoch, 11. November 2015

Warum sehe ich BLÖD.de nicht?

Im Web tobt ein neuer Kampf: Schwarz gegen Weiß. Werbeindustrie gegen Werbeverweigerer/Freibier vs. Kommerz.

Quelle: http://www.bild.de/wa/ll/bild-de/unangemeldet-42925516.bild.html
Auf der einen Seite stehen Anbieter, die sich ihren Webauftritt vergolden wollen, in dem sie Werbung präsentieren. Die Form der Werbung hat sich in den letzten Jahren immer stärker verändert und wurde zunehmend aggressiver.

Quelle: http://www.geo.de/

Anstatt eines statischen Bildes oder eines Textes (so, wie es bis vor kurzem Google noch vorgelebt hat), werden heutzutage meist viele Werbeflächen verkauft, die alle medialen Tricks nutzen. Dazu gehören animierte (Flash-) Videos, Layer, die sich in den Vordergrund schieben, Audio usw.

Auch Google überspannt den Bogen zunehmend (zumindest bei der Anzahl).
Immerhin sind es statische Elemente.
Quelle: https://www.google.de/#q=winterreifen

Zum einen stört das geblinke und getöne natürlich beim Studium der eigentlichen Seite, denn keiner geht auf so eine Webseite, um die Werbung zu sehen. Auch wenn einige Anbieter, den Besucher für dumm verkaufen wollen und 100% Werbung zeigen und das eigentliche Angebot nur am Rande erreichbar machen.

Quelle: http://www.gmx.net/


Die Werbung an sich könnte man ja vielleicht noch als Übel hinnehmen. Um Werbung aber effektiv verkaufen zu können und möglichst viel Nutzen (aus Sicht der Werbeindustrie) daraus zu ziehen, werden alle möglichen Techniken genutzt, um den Besucher (wieder-) zu erkennen. Das nennt sich Tracking.

25 gefundene Tracker auf einer einzelnen Webseite.
Diese Tracker stellen einen eklatanten und Eingriff in die Privatsphäre und den Datenschutz dar, den kein Mensch hinnehmen sollte oder muß. Selbst wenn man in seinem Browser nichts gegen die Werbung an sich unternimmt und nur gegen die Tracker vorgeht, in dem man sie mit einem Add-On wie Ghostery deaktiviert, wird man teilweise von den Webseiten ausgeschlossen und sieht dann den Adblocker-Hinweis (zum Beispiel bei Bild.de). Es geht also nicht nur darum, Werbung anzuzeigen, sondern auch, daß Nutzerverhalten zu protokollieren und zu analysieren. Denn dadurch können die Werbeeinnahmen maximiert werden.
Werbung in Printmedien und auf Plakaten ist statisch und anonym. In einer Zeitschrift wimmelt es von Anzeigen. Aber ich werde beim Lesen der Zeitschrift nicht belästigt und vor allem nicht (heimlich) beobachtet. Es werden keine Daten über mich irgendwo bei einem Anbieter (oder auf meinem PC) auf unbestimmte Zeit gespeichert und verkauft. Das ist ein wichtiger Unterschied, warum Werbung in einer Zeitschrift akzeptiert wird (obwohl man sogar für die Zeitschrift i. d. R. schon Geld bezahlt hat), während man sich dagegen im Web wehrt.

Ein weiteres Problem der multimedialen Werbung im Internet ist, daß sie sehr oft von Schadsoftware begleitet wird. Fehler in der Software, die für die Anzeige der Werbung erforderlich ist (z. B. Flash), strotzt vor Fehlern (weshalb es fast wöchentlich ein Update gibt). Der Werbeanbieter übernimmt aber keine Verantwortung dafür, wenn durch Mißbrauch seiner Werbung mir ein Virus oder ähnliches untergeschoben wird. Das ich mich gegen Techniken schütze, die mich persönlich gefährden, sollte wohl selbstverständlich sein und ist mein gutes Recht.

Die Anbieter von Webseiten mit Werbung halten natürlich dagegen und das meistens mit den gleichen Argumenten:
  • Der Inhalt der Webseite ("content") sei schließlich kostenlos zu nutzen, koste aber bei der Produktion Geld (Personal, Technik usw.)
  • Werbung sei die das bei Weitem am besten funktionierende universelle Geschäftsmodell im Internet.
Wenn ich den content nur noch zu sehen bekomme, in dem ich mit Werbung zugemüllt werde und persönliche Daten gesammelt und verkauft werden, ich Sicherheitsrisiken eingehen muß, dann ist der Inhalt nicht wirklich kostenlos, sondern es wird ein Preis verlangt, den ich nicht bereit bin, zu zahlen. Im Grunde ist das eine Gratis-Mentalität des Anbieters: Ich stelle meine Daten, meine Zeit, mein Leben gratis für seinen Profit zur Verfügung.
Das Internet wurde nicht für Geschäftsmodelle geschaffen, sondern für den freien Austausch von Informationen. Wer Geld verdienen will, sollte sich ein Betätigungsfeld suchen, bei dem er ein Produkt anbietet, für das andere auch (gerne) bereit sind, zu zahlen. Eine Möglichkeit sind Bezahlschranken. Das Problem mit denen ist, daß die meisten Anwender nicht bereit sind, für kostenlosen Inhalt zu bezahlen. Das Phänomen Internet sorgt nämlich dafür, daß (fast) alles, wofür man an einer Stelle bezahlen soll, an anderer für umsonst zu haben ist. Wer also für seinen content Geld verlangt, braucht wirklich einmaligen (guten) Inhalt. Ansonsten bleiben die Besucher der Seite einfach fern. Zumal oft genug auch nach einer solchen Schranke lästige Werbung angezeigt und Tracking eingesetzt wird.

Auch im Fernsehen begegnet uns Werbung. Bei den öffentlich-rechtlichen sogar, obwohl jeder Bürger schon dazu gezwungen wird, GEZ-Gebühren zu bezahlen. Bei den privaten Sendern ist es verständlich. Aber auch da kann ich bei einem Werbeblock wegzappen ohne, daß ich deshalb am sehen des restlichen Programms gehindert werden. Ein Grund, warum die Werbung innerhalb einer Sendung immer bizarre und penetrante Formen annimmt. Aber auch hier: mein Seh-verhalten ist anonym. Daran kann sich die Web-Werbung orientieren: Sie sollte nicht versuchen, daß monetäre Maximum auf Kosten der Besucher abzuschöpfen. Sie sollte sich mit dem Zufrieden geben, was ein Besucher bereit ist zu geben. Statische, unaufdringliche Werbung in angemessener Größe und ohne Tracking ist durchaus akzeptabel. Auch hier wird es Anwender geben, die diese unterdrücken. Aber dann ist das hinzunehmen, so wie das wegzappen im TV, denn es gibt genügend andere Anwender, die sich berieseln lassen.